Interview mit Prof. em. Dr. Rudolf Volkart

Interview mit Prof. em. Dr. Rudolf Volkart, Gründer, Senior Partner und Mitglied des Verwaltungsrats bei IFBC

Interview
Autor
IFBC Team
Datum
18/8/2022

Im nachfolgenden Interview geht Prof. em. Dr. Rudolf Volkart auf die jüngsten Entwicklungen im finanzwirtschaftlichen Umfeld ein und diskutiert die aktuellen Herausforderungen für die finanzielle Unternehmensführung.

Wie sehen Sie die Entwicklungen im finanzwirtschaftlichen Umfeld seit etwa Mitte 2018?

Zunächst ist festzuhalten, dass wir eine überaus bewegte Zeitperiode erlebten. Sie hat uns massive Wechselbäder beschert, was sich – etwas plakativ gesehen – im SMI-Börsen-Chart der letzten vier Jahre eindrücklich widerspiegelt. Danach dümpelte der SMI ab Mitte 2018 von rund 8600 auf 8400 Punkte, um dann 2019 stetig kraftvoll zu avancieren, und zwar bis Anfang 2020 (Mitte Februar) auf rund 11’100 Punkte. Danach folgte innerhalb von nur dreissig Tagen ein dramatischer Absturz auf 8400 Punkte, das heisst um fast 25%.

Die übelst zu Ende gehende US-Präsidentschaft von Donald Trump war 2020 begleitet von der Corona-Virus-Epidemie, die uns in eine weltweite Pandemie ritt, mit einem mittlerweile wirtschaftlich besonders getroffenen China. Trotz allem erholten sich die Börsen nach dem massiven Absturz wieder bald, um bis Ende 2020 (SMI) auf 10’700 Punkte und bis Jahresende 2021 gar auf rund 12’900 Punkte zuzulegen. Damit führte die durch die Notenbanken angeheizte «Inflation» im Bereich von Aktien und Immobilien zu einem rückschauend fast unglaublichen Börsenboom; ein klares Symptom einer ökonomisch fragwürdigen Entwicklung.

Der Anfang 2022 erfolgte Absturz der Aktienmärkte (SMI auf rund 10’400 Punkte) war dementsprechend heftig. Der so nicht erwartete kriegerische Überfall Russlands auf die Ukraine veränderte die politische, wirtschaftliche und integrale Weltlage schlagartig und fundamental. Und die nun aufkeimende Inflation machte die längst überfällige Normalisierung im Zinsenbereich unaufschiebbar. Eigentlich erstaunlich, dass erneut eine graduelle börsenseitige Kursstabilisierung einsetzte.

In welchen Aktionsbereichen der Corporate Finance werden die aktuellen Umfeld-Entwicklungen vor allem spürbar sein?

Die finanzielle Unternehmensführung lässt sich schematisch in fünf Aktionsbereiche auffächern: (1) Die Investitions- und (2) die Kapitalstrukturpolitik, (3) die Liquiditäts- und (4) die Risikopolitik sowie schliesslich (5) die (interne und externe) Informations- und Kommunikationspolitik. Auf all diese Handlungsfelder haben die jüngsten Umfeld-Entwicklungen entscheidenden Einfluss. Dabei sind nicht neue theoretische Ansätze in Sicht, sondern es geht um grundlegende strategische und operative praktische Sachverhalte. Die theoretischen Grundlagen der Corporate Finance haben sich im Führungsalltag als robust erwiesen. Was derweil zu einem anwachsenden Sorgenberg führte, ist die über Jahre hinweg praktizierte Flutung ganzer Volkswirtschaften mit einer Geldschwemme unglaublichen Ausmasses; ein Verstoss gegen zentrale ökonomische Grundgesetze. Sogar neue Theoriebegriffe wie etwa die absurde Idee einer «MMT», einer «Modern Monetary Theory», mussten herhalten, um den ökonomischen Aberrationen den Anstrich von Plausibilität zu geben; Marktverzerrungen, die für Investoren, aber auch Unternehmen mit der Immobilien- und Aktienmarktüberhitzung weitreichende finanzielle Auswirkungen zeitigten.

Was heisst dies für die finanzielle Unternehmensführung, etwa mit Blick auf die Investitions- und die Kapitalstrukturpolitik?

Die auf die Investitionsseite einwirkenden Herausforderungen sind gross, bieten aber auch Chancen. Die Digitalisierung verlangt bzw. ermöglicht neue Lösungen in Bereichen wie Innovation, Nachhaltigkeit, Künstliche Intelligenz, Robotik sowie IT ganz generell. Zugleich haben sich verschiedene Risikoquellen verschärft, mit Auswirkungen auf potentielle Eintretenswahrscheinlichkeiten und Schadenshöhen. Die Sicherung der finanziellen Wertschaffung erfordert aktuell erhöhte Aufmerksamkeit bei Unternehmens- und Projektbewertungen, dies besonders vor dem Hintergrund steigender Zinsen und Preise sowie Ungewissheit bezüglich Inflations- und Zinsperspektiven.

Dies führt auf die Finanzierungsseite, wo die Zinsentwicklung die Kapitalkosten eines Unternehmens erhöht und auf die Gestaltung einer tragfähigen Kapitalstruktur einwirkt. Zugleich ist bei inter- und multinational tätigen Konzernen auf währungspolitische Verschiebungen zu achten, bis hin zu Belangen der hochvolatilen Krypto-Märkte. Eigen- und Fremdkapitalgeber dürften in einem normalisierten Finanzmarkt-Umfeld wieder vermehrt auf die Geschäftsmodelle kapitalnachfragender Unternehmen achten und ein rationaleres Investorenverhalten zeigen. Eine jederzeit dem gewünschten Finanzierungspotential angemessene Debt Capacity des Unternehmens erscheint daher besonders wichtig. Der marktzinsbedingte Druck auf den intrinsischen Unternehmenswert und den Aktienkurs schafft zusätzliche Herausforderungen, vor allem mit Blick auf käufer- und verkäuferseitige M&A-Aktivitäten oder auch besondere Finanztransaktionen wie etwa IPOs, LBOs und MBOs.

Und wie sehen Sie die aktuellen Herausforderungen in den Bereichen der Liquiditäts- und der Risikopolitik?

Zunächst zur Risikopolitik: Die dramatische Verschärfung politischer, wirtschaftlicher, sozialer und geopolitischer Risiken erhöht den Druck auf die Risiko-Tragfähigkeit von Unternehmen und Geschäftsmodellen. Akzentuiert wird dies durch den intensiveren Wettbewerb um Humanressourcen, Knowhow und Fähigkeitspotentiale, mit Druck auf Margen und finanzielle Wertgenerierung des Unternehmens. Die sichtbar gewordenen Risiken aus einer zu einseitig effizienzgetriebenen internationalen Vernetzung legen ein Überdenken der betrieblichen Abhängigkeiten einer zu wenig diversifizierten Logistik nahe. Zum dornenvollen Feld kann schliesslich der IT-Bereich werden, wo neben IT-technologischen Risiken den immer bedrohlicheren Cyber-Gefahren Rechnung zu tragen ist.

All diese Sachverhalte sind auch direkt auf der Liquiditätsebene relevant. Gefordert ist eine noch weitsichtigere strategische Liquiditätspolitik, dies vor allem auch mit Blick auf kommende Ressourcen- und Energieengpässe. Was die primäre Liquiditätshaltung betrifft, lässt sich der Blick von der Kostenseite (Negativzinsen) wieder auf die Renditeseite (Zinserträge) wenden. Mit der Definition einer ausreichenden betrieblichen Mindestliquidität wird das Liquiditätsrisiko gering gehalten und finanzieller Handlungsspielraum geschaffen. In diesem Sinne ist auch das Streben nach Finanzierungspotential (sogenannte «Financial Slack») essentiell, damit ein Unternehmen jederzeit «aus dem Stand heraus» über ausreichende Finanzkraft verfügt.

Inwieweit ist aus Ihrer Sicht auch die Informations- und Kommunikationspolitik eines Unternehmens betroffen?

Die Anforderungen an die interne und externe Informations- und Kommunikationspolitik haben sich über die Zeit kontinuierlich erhöht. Dabei dürften etliche Elemente der Firmenpublizität nur beschränkt Vorwärtspotential bieten; vielmehr wird es oft darum gehen, die laufend erweiterten externen Erwartungen nicht zu enttäuschen. Unternehmensintern verändert sich die Kommunikationslandschaft parallel zu den sich wandelnden Generationen mit ihren Bedürfnissen und Erwartungen, dies etwa auch im Zusammenhang mit der pandemiebedingt verstärkten Home-Office-Orientierung. Speziell gefordert ist die externe Informationspolitik im Zusammenhang mit der Beschaffung von zusätzlichem Eigen- und Fremdkapital. Mit Blick auf besondere Finanztransaktionen ist dem Zusammenspiel von Geschäftsmodell, Kommunikation, Ratingbildung und Finanzimage Beachtung zu schenken. Ganz generell werden Glaubwürdigkeit, Transparenz und Offenheit in der Information auf allen Ebenen noch grössere Bedeutung erlangen.

Wie sehen Sie das Umfeld der Corporate Finance aus Sicht der nächsten vier Jahre?

Kurz- und mittelfristig dürften neue Ungewissheiten die finanzielle Unternehmensführung fordern. Dabei geht es um gewichtige Einflussfaktoren im wirtschaftlichen, politischen und ESG-bezogenen Umfeld. Dominante Themen werden die Spaltung der US-Gesellschaft, das Verhältnis USA-China, die Machtpolitik der Russen, die Entwicklung von EU und Nato, die Geld-, Finanz- und Währungspolitik sowie die Bewältigung der ökologischen und pandemiegetriebenen Probleme bleiben, verschärft durch Energie-, Ressourcen- und Nahrungsmittel-Knappheit, Migrationsaspekte, Pandemiefolgen und immer wieder unerwartet auftretende neue Problem- und Krisenherde. Eine gewisse Stabilität im nationalen und internationalen Umfeld ist dramatisch erhöhten Instabilitäten gewichen.

Besonnene Unternehmensführung erfordert daher über die finanzielle Erfolgs- und Wertorientierung hinaus vermehrte Anstrengungen zu einer integralen Sicherung der materiellen, personellen und immateriellen Ressourcen. Dies verbunden mit intensiviertem Bezug zu den Stakeholdergruppen und der Gesellschaft im relevanten Umfeld insgesamt. Aus einer engeren Sicht sind es kurzfristig aber vor allem die aktuellen Zins-, Inflations- und Währungsentwicklungen, welchen in der finanziellen Führung zu begegnen ist.

Prof. em. Dr. Rudolf Volkart ist Gründer, Senior Partner und Mitglied des Verwaltungsrats bei der IFBC. Als langjähriger Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Direktor des Swiss Banking Institute an der Universität Zürich verfügt er über einen grossen und renommierten Leistungsausweis als Gutachter und Experte für finanzwirtschaftliche Themen. Davon zeugt auch die grosse Zahl von weit über hundert Publikationen, die sich mit grundlegenden Fragen zur Finanzwirtschaft und insbesondere mit den Themen Corporate Finance, Kapitalmarkttheorie und Kapitalkosten befassen. Im Jahr 2014 wurde er für seine ausserordentlichen Verdienste in den Bereichen Corporate Finance und Rechnungslegung mit dem Dr. Kausch-Preis ausgezeichnet.

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