Interview mit Doris Barnert, Swissgrid

Interview mit Doris Barnert, Leiterin Corporate Services und CFO von Swissgrid

Interview
Autor
IFBC Team
Datum
2/6/2022

Gemäss den Vorgaben des Stromversorgungsgesetzes ist die nationale Netzgesellschaft Swissgrid Eigentümerin des Schweizer Höchstspannungsnetzes. Um dies zu erreichen, mussten die bisherigen Eigentümer ihre Anlagen des Höchstspannungsnetzes an Swissgrid übertragen. Dies wurde seit Anfang 2013 im Rahmen der bisher grössten und komplexesten vom Gesetz in der Schweiz vorgegebenen Transaktion mit rund CHF 3 Mrd. vollzogen.

Mit dem Vorliegen der relevanten ElCom-Verfügungen mit den finalen regulatorischen Werten zu den jeweiligen Transaktionszeitpunkten konnte die Transaktion, deren Vorbereitungsarbeiten im Jahr 2010 begonnen haben, im Jahr 2022 abgeschlossen werden. IFBC hat Swissgrid und die ehemaligen Eigentümer seit Beginn der Transaktion unterstützt. Zum einen hat IFBC die notwendigen Bewertungskonzepte zur Überführung der eigens gegründeten Netzgesellschaften (Share Deals) sowie für die weiteren Anlagen (Asset Deals) verfasst. Darin sind auch die Details zur Entschädigung mittels Swissgrid-Aktien und Darlehen beschrieben. Zum anderen hat IFBC sämtliche Bewertungsaufgaben ausgeführt und die jeweiligen Entschädigungen basierend auf den gesetzlichen Grundlagen bzw. den von der ElCom verfügten Werten bestimmt. Diese Aufgaben begannen bei den Share Deals noch vor dem Transaktionszeitpunkt per 1. Januar 2013 mit initialen Bewertungen, gefolgt von einer ersten Bewertungsanpassung auf Basis der damaligen ElCom-Verfügungen zu den Anlagewerten und fanden ihren Abschluss in der finalen Bewertungsanpassung nach Vorliegen der finalen ElCom-Verfügungen zum Transaktionszeitpunkt. Die Bewertungen der im Rahmen der Asset Deals zusätzlich auf Swissgrid übertragenen Anlagen wurden von IFBC auf jährlicher Basis bis ins Jahr 2018 vorgenommen.

Nachfolgend schildert Doris Barnert, Leiterin Corporate Services und CFO von Swissgrid, ihre Erfahrungen im Zusammenhang mit der erfolgreichen Transaktion.

Die Überführung sämtlicher Anlagen des Höchstspannungsnetzes auf Swissgrid konnte endgültig erfolgreich abgeschlossen werden. Sind Sie erleichtert?

Das gesamte Projektteam und ich freuen uns, dass die Überführung nun nach den im Jahr 2021 in Rechtskraft erwachsenen definitiven Verfügungen der ElCom ein erfolgreiches Ende gefunden hat. Wir waren von Anfang an überzeugt, dass die Transaktion mit der gewählten Vorgehensweise einen erfolgreichen Abschluss finden wird. Mit der doch sehr langen Dauer der Transaktion hat aber niemand gerechnet. Der Startschuss fiel mit Inkrafttreten des Stromversorgungsgesetzes im Jahr 2007. Das Gesetz verpflichtete die Elektrizitätsversorgungsunternehmen dazu, ihre Übertragungsnetzbereiche von den übrigen Tätigkeitsbereichen zu entflechten und spätestens per Ende 2012 auf Swissgrid zu übertragen. Die Überführung sämtlicher Anlagen des Höchstspannungsnetzes auf Swissgrid beinhaltete die Übernahme von über 130 Schaltanlagen und über 6700 km Netzlänge. Insgesamt waren rund 40 Parteien involviert. Damit handelt es sich bei der Netzübernahme um die bisher grösste Transaktion in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte und sicher auch eine der anspruchsvollsten Übernahmetransaktionen in der Schweiz.

Welches waren aus Ihrer Sicht die grössten Herausforderungen bei der Überführung des Höchstspannungsnetzes?

Ich betrachte das Zusammenspiel der sehr vielen verschiedenen Faktoren als die grösste Herausforderung dieser Transaktion. Wie bereits erwähnt hat Swissgrid Teile des Höchstspannungsnetzes von diversen Parteien übernommen. Nicht alle bisherigen Netzeigentümer waren gleichzeitig für die Übertragung bereit und es mussten einige Gerichtsentscheide verschiedener Instanzen sowie die definitiven Verfügungen der ElCom abgewartet werden, bis die finalen Werte berechnet werden konnten. Somit ist die Übertragung zeitlich gestaffelt über mehrere Jahre erfolgt, was die lange Dauer der Transaktion erklärt. Auch die nachträgliche (Verkaufs-)Abwicklung der bereits erfolgten Übertragungen hat zur Komplexität beigetragen. Die Vorgehensweise bei der Übertragung und auch die Bewertung der Anlagen mussten einheitlich erfolgen, um die Gleichbehandlung aller Parteien sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund wurden für die wesentlichen Schritte der Überführung in Zusammenarbeit mit allen involvierten Parteien spezifische Konzepte und einheitliche Vertragsunterlagen erarbeitet. Sie können sich vorstellen, dass es einiges an Überzeugungsarbeit benötigte, bis die Transaktionsunterlagen standen.

Welches waren die wesentlichen Erfolgsfaktoren für die erfolgreiche Überführung des Höchstspannungsnetzes auf Swissgrid?

Die gute und konstruktive Zusammenarbeit der verschiedenen Parteien war der Garant für die erfolgreiche Überführung. Für die verschiedenen, insbesondere im technischen Bereich aufgetretenen Problemstellungen konnten immer gemeinsame Lösungen erarbeitet werden. Dies gelang insbesondere auch, indem frühzeitig spezifische Teams mit Spezialistinnen und Spezialisten der Swissgrid und der ehemaligen Eigentümer von Swissgrid sowie externen Fachexperten gebildet wurden. Sie beschäftigten sich jeweils mit den Bereichen Recht, Bewertung, Steuern und Anlagen. Ebenfalls war hilfreich, dass eine sogenannte Mustergrid zur Abgrenzung von Anlagen definiert wurde und die Durchführung von Due Diligences nach einheitlichem Muster erfolgte. Das Know-how zur Überführung war auf verschiedene Personen verteilt. Die Mehrzahl dieser Know-how-Trägerinnen und -Träger blieb bis zum Abschluss der Transaktion involviert.

Wie unterschied sich diese Transaktion aufgrund der gesetzlichen Vorgabe zur Übernahme aller Anlagen des Höchstspannungsnetzes und des regulierten Geschäftsmodells von einer «normalen» Transaktion?

Speziell an dieser Transaktion war sicher, dass Swissgrid als Käuferin diversen Verkäuferinnen gegenüberstand. Diese Konstellation machte es unabdingbar, dass ein mehrheitsfähiges Konzept für die Überführung aller Anlagen und insbesondere auch eine einheitliche Bewertung und somit eine Gleichbehandlung aller Parteien etabliert werden konnte. Die Bewertung erfolgte basierend auf den regulatorischen Vorgaben gemäss StromVG, StromVV und ElCom. Auch allfällige Verzinsungsansprüche, die sich bei den Share Deals aufgrund der unterschiedlichen Zeitpunkte von Sacheinlagen (3.1.2013) und finaler Bewertung der Sacheinlagen (1.1.2021) ergaben, folgten den regulatorischen Bestimmungen. Zum Abschluss der Transaktion wurde eine Fairness Opinion von einer unabhängigen Stelle erstellt, mit der Bestätigung zur korrekten Anwendung des Bewertungskonzepts und Umsetzung der Bewertungen.

Die Konzepte für die Überführungen und auch für die Bewertungen inkl. der vorgesehenen Bewertungsanpassungen wurden 2010 entwickelt. Konnten diese bis zum Abschluss der Transaktion angewendet werden?

Im damaligen Bewertungskonzept wurden die Grundsätze zur Bewertung definiert und von allen zu diesem Zeitpunkt involvierten Parteien akzeptiert (18 Sacheinlegerinnen und Swissgrid). Details wurden dabei für die initialen Bewertungen sowie für den spezifischen Preisanpassungsmechanismus festgehalten. Insbesondere die Details zur zweiten und finalen Bewertungsanpassung wurden im Bewertungskonzept damals noch nicht geregelt. Diese wurden erst vor der Durchführung der finalen Bewertungsanpassung festgehalten und auch die notwendigen Vertragsanpassungen wurden zu diesem Zeitpunkt initiiert.

Worin lag der Mehrwert der externen Unterstützung und insbesondere von IFBC?

Wir haben IFBC während des gesamten Projekts als zuverlässigen und äusserst kompetenten Partner wahrgenommen, der komplexe und komplizierte finanzielle Fragestellungen ganzheitlich erfasst und zeitnah umsetzungsfähige Lösungen entwickelt hat. IFBC war bei den Sacheinlegerinnen von Anfang als unabhängiger Experte akzeptiert, was wesentlich zum Erfolg der Transaktion beigetragen hat.

Welches sind die grössten zukünftigen Herausforderungen der Swissgrid?

Da möchte ich zum einen auf Europa hinweisen: Als Teil des Verbundnetzes ist die Schweiz von Entwicklungen im europäischen Strommarkt in hohem Masse betroffen. Aufgrund des fehlenden Stromabkommens kann Swissgrid bei den Entwicklungen im europäischen Strommarkt nur noch beschränkt mitwirken und die Interessen des Landes einbringen. Dies hat negative Auswirkungen auf die Netzsicherheit. Für Swissgrid ist ausserdem der Zugang zu wichtigen Gremien sowie Regelenergiekooperationen gefährdet. Zum anderen stellen die langen Bewilligungsverfahren für Infrastrukturprojekte ein grosses Problem dar. Das Stromsystem befindet sich mit der Dekarbonisierung und der Dezentralisierung der Produktion in einem tiefgreifenden Wandel. Das Übertragungsnetz ist ein zentraler Faktor für das Gelingen der Energiewende. Deshalb müssen wir die notwendigen Infrastrukturprojekte rasch umsetzen können.

Doris Barnert, ist dipl. Architektin ETH Zürich mit einem MAS in Corporate Finance und einem Executive MBA HSG. Nach ersten Stationen im Architekturbereich ist sie 2001 bei den SBB in die Division Infrastruktur eingetreten, wo sie in der Folge verschiedene Führungs- und Projektleitungsaufgaben innehatte. 2006 wurde sie zur Leiterin Finanzen Fahrweg Westschweiz in der Division Infrastruktur ernannt. Im Dezember 2008 hat sie als Direktorin Finanzen (CFO) und Mitglied der Geschäftsleitung zu der Solothurner Spitäler AG gewechselt. In dieser Funktion hat sie den Finanzbereich aufgebaut, laufend weiterentwickelt und massgeblich geprägt. Doris Barnert ist per 1. April 2017 zum Mitglied der Geschäftsleitung und Leiterin Corporate Services / CFO von Swissgrid ernannt worden.

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